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Systematisch aufgebautes „Aktions-Reaktionstraining“ in der Ju-Jutsu SV

Im Rahmen des Landestechniklehrgangs am 27. September bei der IV. BPA in Kassel zeigte sich einmal mehr die technische Klasse und Erfahrung von Bernd Hillebrand, 7. Dan Ju-Jutsu.

Es wurden fleißig Abwehrhandlungen und deren Weiterführung in den verschiedensten Facetten der Selbstverteidigung trainiert. Man begann mit Atemis, wechselte zwischen unterschiedlichen Distanzen, ging zu Wurf sowie Hebeltechniken weiter und entschied sich am Ende, die erlernte Systematik auf Messerangriffe zu übertragen. Ein vielfältiges Programm für nur einen Nachmittag, was aber durch die einfache Gliederung und ständige Wiederholung für große Begeisterung sorgte.

Patrick: Systematisch aufgebautes Aktions-Reaktionstraining in der Ju-Jutsu SV“ ist ein Thema, das die wenigsten Ju-Jutsuka verstehen. Kannst du es kurz erklären?

Bernd: Wir bereiten uns im Ju-Jutsu-Training ja in erster Linie darauf vor, im Ernstfall, also wenn wir angegriffen werden, schnell und angemessen zu reagieren. Dazu gehören als Grundlage selbstverständlich Techniken, wie Hebel, Würfe und Bewegungsformen. Sind diese erlernt, dann ist es an der Zeit, Lösungen zu trainieren, für Probleme, welche uns der Angreifer während der Verteidigung machen könnte. Wir sollten bestrebt sein, während der gesamten Abwehrhandlung stets das Heft in der Hand zu halten, also Agieren, statt Reagieren muss die Devise sein. Das kann man sehr gut mit Übungsformen automatisieren, welche sich durch Aneinanderreihung von angesetzten Ju-Jutsu Techniken und möglicher Reaktionen des Gegners zu einer Endloskette zusammensetzen („Flows“). Eine äußerst einfache, aber jedem Ju-Jutsuka bekannte Form ist der Dreierkontakt als flüssige Wechselübung mit Partner oder Partnerin („Hoobud Loobud“).

Patrick: Wenn du heute in deiner Ju-Jutsu Karriere zurückblickst, was würdest als deine wichtigste Erfahrung und deren technische Umsetzung bezeichnen?

Bernd: Eine, für mich äußerst wichtige Erfahrung ist die, dass es mir persönlich trotz großen Trainingsaufwands auch nach 33 Jahren Selbstverteidigung nahezu unmöglich erscheint, plötzliche Schlagangriffe zum Kopfbereich mit einzeln durchgeführten Abwehrtechniken (z. B. eine zum Angriff passende Hand- oder Unterarmabwehr) sicher anzuwenden. Also müssen aus meiner Sicht Abwehrmuster her, bei denen es völlig egal ist, ob der Angreifer von außen, unten, innen schlägt oder geradlinig die Umgestaltung meines Gesichts beabsichtigt. Eine wirkungsvolle Möglichkeit besteht darin, bereits in der Anfangsphase des Angriffs gut geschützt direkt nach vorne in den Gegner hineinzugehen (ich bezeichne diese als „Der Draufgänger“). Ist der Angriff bereits weiter vorangeschritten, so ist ein Ausweichen nach hinten ratsam, um die Distanz zu vergrößern („Der Vorsichtige“). Stoppfußstoß und Low-Kick bringen den Verteidiger dann wieder in eine gute Position für weitere Techniken. Zu guter letzt könnte eine 3-Phasen Abwehr (bei mir „Der coole Typ“ genannt) alle Spatzen fangen, indem die vordere Hand zunächst vor dem Gesicht nach innen wischt (Fegen), die zweite Hand dieser unmittelbar auf dem selben Weg folgt (Sichern), bevor dann der Gegenschlag von innen erfolgt (Kontern). Erst mit der sicheren Abwehr des ersten Angriffs ist die Voraussetzung für die weitere Verteidigung geschaffen. Eine ebenso bedeutende Erfahrung leitet sich für mich aus dem Notwehrparagraphen ab, der uns in einer Angriffssituation überhaupt erst das Recht zur Verteidigung einräumt. Darin steht, dass der Angriff sofort und endgültig abgewehrt werden darf. Wir sollten für uns im Ju-Jutsu dieses Dürfen sogar zu einem Muss erheben, nämlich dann erst mit unserer Verteidigung aufzuhören, wenn der Gegner unter Kontrolle ist und für uns oder andere keine Gefahr mehr darstellt. Einer meiner Trainer prägte hierfür die knappen aber zutreffenden Worte „Finnish your job“.

Patrick: Ist aus diesem Grund der Dreier-Kontakt für dich so wichtig?

Bernd: Der Dreierkontakt („Hoobud“) ist besonders hilfreich als Abwehrmaßnahme wenn der Angreifer möglicherweise oder sogar sicher eine scharfkantige Waffe in den Händen hält und keine Zeit mehr bleibt, sich aus dem Staub zu machen oder Gegenstände zur eigenen Verteidigung einzusetzen. Durch die Bewegungsfolge des Dreierkontakts kann der Angriff angenommen, der Angriffsarm um- oder abgeleitet, und anschließend gesichert werden. Daher muss die Ausführung auch fließend sein und darf nicht das Ziel haben, den Waffenarm gleich beim ersten Kontakt abzustoppen. Allerdings muss auch bei dieser Abwehr vom Verteidiger erkannt werden, welcher Angriff genau auf ihn zukommt, damit er die passenden Abläufe anwenden kann.

Patrick: Du warst als Technischer Direktor des DJJV e.V. maßgeblich bei der Neugestaltung des Prüfungsprogramms im Rahmen des Ju-Jutsu 2000 eingebunden. Eine (wichtige) Neuerung war die Einführung des Dreier-Kontakts. Wie siehst du, diese Idee derzeit im Ju-Jutsu verstanden und umgesetzt?

Bernd: Ich habe auf vielen Lehrgängen im Bundesgebiet festgestellt, dass die Grundform des Dreierkontaktes für die meisten Ju-Jutsuka keine Probleme mehr darstellt und der Sinn dieser etwas komplizierten, aber wichtigen Abwehrmaßnahme erkannt ist. Jetzt wäre es allerdings nach mehreren Jahren an der Zeit, weitere Anwendungsformen und –möglichkeiten dieser Technik zu schulen, um noch mehr Sicherheit bei der Anwendung zu erreichen. Gleiches gilt für die ‚Weiterführung abgewehrter Atemis der Verteidigers’ („Trapping“). Nun, da die grundlegenden Bewegungsabläufe dafür klar sein dürften, sollten dies im Training in allen erdenklichen Variationen geübt werden, damit sich je nach Verhalten und Druck des Gegners ein Automatismus für die Abwehr entwickelt.

Patrick: Was wäre dein Ausblick und Wunsch für die zukünftige Entwicklung des Ju-Jutsu?

Bernd: Ich finde, das Ju-Jutsu befindet sich auf einem sehr guten Weg und entwickelt sich prächtig. Wir haben viel Zulauf unter Kindern, in der Frauenselbstverteidigung und bei den über 40-jährigen. Man sollte nicht nur an steigenden Mitgliederzahlen den Erfolg festmachen, sondern an der Zufriedenheit der Trainings- und Lehrgangsteilnehmer/innen. Die erscheint mir sehr groß, weil Ju-Jutsu so viel verschiedenen Facetten hat, wie keine andere Selbstverteidigung.  Im Vereinstraining sollten zusätzlich zu den Techniken und Bewegungsformen zunehmend auch das taktisch geschickte Verhalten und der Umgang mit verbalen Attacken geübt werden. Nicht jeder, der tolle Techniken drauf hat, kann sich automatisch auch in solchen Situationen selbst behaupten, wo es nicht zur Gewaltanwendung kommt. Da hat die Frauenselbstverteidigung, welche sich schon sehr lange damit beschäftigt, dem Ju-Jutsu insgesamt einen sehr großen Dienst erwiesen

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